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Wie Facebook die Vorstellung von Privatsphäre ändert

Wirtschaftsredakteur
Facebook Facebook
Facebook hat die Einstellungen für Privatsphäre schon mehrfach geändert
Quelle: dpa/DPA
Mehr als eine halbe Milliarde Menschen nutzen das Netzwerk. Facebook-Managerin Shields erklärt, wie Facebook Geld verdient, ohne Nutzerdaten zu verkaufen.

Die 48-jährige Joanna Shields ist im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania aufgewachsen und hat ihre Karriere 1987 im Silicon Valley begonnen. Sie arbeitete unter anderem für RealNetworks, Google und AOL. Heute leitet die Managerin, die 2008 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hat, die Geschäfte von Facebook in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Das soziale Netzwerk hat weltweit mehr als 600 Millionen Mitglieder, in Deutschland sind es 16 Millionen, von denen jeder zweite täglich Facebook nutzt.

Welt am Sonntag: Frau Shields, wie viele Freunde haben Sie auf Facebook?

Joanna Shields: Die genaue Zahl weiß ich nicht. Es werden wohl einige Hundert sein.

Welt am Sonntag: Wie viele Menschen hätten Sie als Freunde bezeichnet, bevor Facebook 2004 gegründet wurde?

Shields: Sicherlich viel weniger. Je länger man Facebook nutzt, desto mehr öffnet man sich. Es vergeht kaum eine Woche, in der sich nicht plötzlich jemand meldet, den man von früher kennt.

Welt am Sonntag: Ändert Facebook unser Verständnis von Freundschaft?

Shields: In gewisser Weise schon. Aber üblicherweise hat man bei Facebook seine Freunde auch in unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Die wahren Freunde und manchmal auch Familienmitglieder sind dann eher im inneren Kreis, dem man andere Sachen anvertraut als anderen. Ich kommuniziere auf diese Weise sogar mit meinen Kollegen, die ich in eine gesonderte Gruppe eingeteilt habe. Das ist sehr hilfreich. Grundsätzlich gelingt es mir, über Facebook deutlich mehr Kontakte zu pflegen, als es früher möglich war. Das muss nicht immer intensiv sein. Es gibt auch eine passive Anteilnahme.

Welt am Sonntag: Gehören Sie zu denen, die schon vor dem Aufstehen auf ihre Facebook-Seite schauen?

Shields: Nein, ich würde sonst auch großen Ärger mit meinem Mann bekommen. Facebook ist die Seite, die erscheint, wenn ich am Schreibtisch meinen Browser öffne.

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Welt am Sonntag: Sie sind nicht Facebook-abhängig?

Shields: Nein.

Welt am Sonntag: Es gibt eine Plakatwerbung von Bacardi, auf der geschrieben steht: Deine Offline-Freunde vermissen dich.

Shields: Es gibt Leute, die Facebook sehr intensiv nutzen. Das sind diejenigen, die sonst auch sehr mitteilsam sind und beispielsweise viel bloggen und Mails schreiben.

Welt am Sonntag: Was ist es eigentlich, das Ihre Nutzer auf Facebook am meisten machen?

Shields: Fotos teilen. Täglich werden bei uns 100 Millionen Bilder hochgeladen. Am Silvesterwochenende waren es dieses Jahr sogar 750 Millionen Fotos. Viele Nutzer dokumentieren auf diese Weise ihr Leben auf Facebook.

Welt am Sonntag: Wie wollen Sie denn damit Geld verdienen?

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Shields: Wir leben in erster Linie von Werbung. Damit meine ich keine Banner, wie man sie von anderen Websites kennt. Im Grunde ist Facebook auch keine Website, sondern eine Bewegung. Unsere neuste Idee sind „sponsored stories“: Falls einem Nutzer die Seite einer Marke oder eines Produkts gefällt und er auf den „Like“-Button klickt, kann diese Empfehlung gesondert hervorgehoben auch seinem Freundeskreis angezeigt werden. Auch Werbung von Unternehmen, die sich sozial engagieren, wird häufig weiterempfohlen. Gerade zur Markenpflege eignet sich Facebook besonders, weil es hier um Empfehlungen unter Freunden geht, die weitaus wirksamer sind als die üblichen Werbebotschaften. Es ist der soziale Kontext, der Werbung auf Facebook so effektiv macht.

Welt am Sonntag: Wie viel Geld verdient Facebook?

Shields: Wir veröffentlichen Zahlen erst im kommenden Jahr. Eine zweite Einnahmequelle neben Werbung sind unsere Credits, mit denen beispielsweise virtuelle Güter in Spielen bezahlt werden, die auf Facebook gespielt werden. Farmville vom Spielehersteller Zynga etwa hat 80 Millionen Nutzer. Unser Anteil an den Credits liegt bei 30 Prozent. Dieses Bezahlsystem ist unglaublich erfolgreich. Ich kann Ihnen auch sagen, womit wir kein Geld verdienen.

Welt am Sonntag: Bitte.

Shields: Facebook verkauft keine Nutzerdaten an Werbetreibende. Auch wenn uns das immer wieder nachgesagt wird.

Welt am Sonntag: Wenn der soziale Kontext und Empfehlungen so wichtig sind, wäre es dann nicht sinnvoll, stärker auf E-Commerce zu setzen?

Shields: Das wäre der nächste logische Schritt.

Welt am Sonntag: Damit wären Sie dann ein Konkurrent von Amazon.

Shields: Amazon gehört zu unseren besten Partnern.

Welt am Sonntag: Wie sehen Ihre nächsten Pläne in Richtung E-Commerce aus?

Shields: Über Pläne und Ideen dazu kann ich noch nicht sprechen.

Welt am Sonntag: Gibt es kulturelle Unterschiede bei der Nutzung von Facebook?

Shields: Weniger, als man denkt. Natürlich gibt es Länder, in denen Facebook beispielsweise stärker auf dem Mobiltelefon genutzt wird. Mich hat aber mehr überrascht, wie sehr sich die Nutzung weltweit doch ähnelt.

Welt am Sonntag: Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Shields: Kaum. Das sieht man auch an der Ausgewogenheit unter unseren Mitgliedern. Es gibt aber Unterschiede je nach Lebenssituation. Junge Mütter nutzen Facebook stärker, weil sie den Rat von anderen Müttern suchen.

Welt am Sonntag: Immer mehr Menschen kommunizieren nur noch über Facebook. Wollen Sie die E-Mail abschaffen?

Shields: Ich denke nicht, dass das geschehen wird. Zumindest für die geschäftliche Kommunikation würde ich das ausschließen. Bei der privaten Kommunikation ist das etwas anderes. Es ist bequemer, seine Nachrichten über Facebook zu verschicken, weil man dort an einem Ort die öffentliche Kommunikation mit Freunden und die persönliche Kommunikation zusammenführen kann.

Welt am Sonntag: Wäre es dann nicht an der Zeit, Ihren Dienst auch auf die Sprachkommunikation auszuweiten?

Shields: Wir haben mit unserem Chat das Angebot bereits erweitert. Es gibt also eine logische Evolution. Wir setzen dabei aber zu einem großen Teil auf die Erfahrungen unserer Partner. Erst kürzlich hat der Handy-Hersteller HTC ein Mobiltelefon vorgestellt, das einen eigenen Facebook-Knopf hat.

Welt am Sonntag: Wird es ein Facebook-Phone geben?

Shields: Es gibt kein Facebook-Phone.

Welt am Sonntag: Welche Rolle spielte Facebook bei den Freiheitsbewegungen in Tunesien, Ägypten und Libyen?

Shields: Der Schlüssel dieser Entwicklungen sind die mutigen Menschen. Unsere Aufgabe war es, die Plattform aufrechtzuerhalten, über die kommuniziert wurde. Es gab kritische Situationen, in denen Regierungen das Internet weitgehend abgeschaltet hatten.

Welt am Sonntag: Hat Facebook eine politische Verantwortung in diesen Fällen?

Shields: Wir müssen darauf achten, dass unsere Plattform verantwortungsvoll genutzt wird und unsere Regeln nicht verletzt werden. Darüber hinaus mischen wir uns nicht ein.

Welt am Sonntag: Menschenrechtsaktivisten vermissen auf Facebook die Möglichkeit, unter einem Pseudonym aufzutreten, um sich vor Repressalien zu schützen.

Shields: Die Stärke von Facebook ist ja gerade die Echtheit der Identitäten. Das macht uns so vertrauenswürdig. Es gibt aber die Möglichkeit, zu bestimmten Themen Seiten zu öffnen, denen sich Facebook-Mitglieder anschließen und über die sie sich organisieren können. Dies ist beispielsweise in Ägypten geschehen, nachdem in Alexandria ein junger Aktivist ermordet wurde. In diesen Fällen müssen die Urheber nicht mit ihrem Klarnamen auftreten.

Welt am Sonntag: Verändert Facebook unsere Vorstellung von Privatsphäre?

Shields: Zumindest gehen die Leute damit immer bewusster um. Wir bieten unseren Mitgliedern inzwischen die Möglichkeit, Gruppen zu bilden – offen oder geheim – und dann zu entscheiden, wer welche Informationen sehen darf. Das lässt sich bis auf einzelne Freunde runterbrechen. Grundsätzlich lässt sich aber schon beobachten, dass sich die Menschen immer mehr öffnen und beispielsweise großzügiger mit Informationen umgehen, an welchem Ort sie sich gerade befinden.

Welt am Sonntag: Ist das eine Frage des Alters?

Shields: Mein Vater ist 75 Jahre alt und teilt alles auf Facebook. Überhaupt sind die älteren Surfer die Nutzergruppe, die am stärksten wächst. Immer mehr Menschen sehen im Internet die Möglichkeit, ihre Lebenserfahrung mitzuteilen, obwohl sie im Ruhestand sind. Wenn man nicht mehr täglich ins Büro geht und unter Kollegen ist, wird das immer schwieriger. Auf Facebook haben gerade ältere Menschen die Möglichkeit, wieder stärker am Leben der anderen teilzunehmen.

Welt am Sonntag: Nehmen Deutsche den Schutz der Privatsphäre ernster als Amerikaner?

Shields: Ich glaube, dass nicht zuletzt wegen der Diskussion über Googles Street View in Deutschland die Nerven blank liegen. Unglücklicherweise hat das die Menschen hypersensibel gemacht. Aber auch in Amerika sorgen sich Eltern sehr darum, was ihre Kinder im Internet veröffentlichen. Das gilt natürlich auch für Fotos. Meine Freunde und ich können uns vermutlich glücklich schätzen, dass es das Netz mit den heutigen Angeboten in den 80er-Jahren noch nicht gab, als wir diese merkwürdigen Frisuren hatten. Sonst würden uns jetzt all diese Bilder verfolgen.

Welt am Sonntag: Facebook wird immer wieder dafür kritisiert, die Privatsphäre nicht ausreichend zu schützen.

Shields: Wir haben es inzwischen für unsere Nutzer sehr einfach gemacht, die persönlichen Daten zu schützen. Nachdem wir im vergangenen Jahr mehrere Funktionen neu eingeführt hatten, mussten wir feststellen, dass viele Nutzer mit den Einstellungen zum Schutz der Privatsphäre in den Nutzerkonten nicht klarkamen. Deswegen haben wir diesen Bereich überarbeitet. Wer heute will, dass nicht nur Freunde die Informationen zu sehen bekommen, muss sich dafür aktiv entscheiden. Außerdem arbeiten wir eng mit Datenschutzbehörden und Erziehungsorganisationen zusammen.

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